Zu Recht verhasste Tradition oder doch nur falsch verstandenes Brauchtum?
Kaum eine der Sitten im Zusammenhang mit einem Begräbnis löst so viele kontroversielle und vor allem negative Emotionen aus wie das Totenmahl.
„Da sitzen sie dann alle und essen, trinken und lachen. So als wär nix! Ich finde das einfach nur pietätlos.“
Du bist mit diesem Gedanken in der Vorbereitung des Begräbnistages und der Frage nach: „Was machen wir nachher?“ nicht alleine.
(nachgezeichnet)
Auch ich hasste den Leichenschmaus
Als mein Opa starb und am Südwestfriedhof begraben wurde, haben meine Eltern genau dasselbe getan wie ihre Eltern davor: die Freunde und Verwandten zum Leichenschmaus eingeladen. Ich verstand überhaupt nicht „wozu das alles?“ und nach Essen war mir schon gar nicht zumute.
Wie können die nur?
Es ist Vielen, die an das Leichenmahl denken, ein Graus, wenn sie an den Wechsel der Emotionen vom Friedhof zum Gasthaus denken. Sie können sich nicht vorstellen, wie man an diesem Tag nur so drastisch vom Weinen zum Lachen zu wechseln vermag und das innerhalb von zirka 45 Minuten bis alle vom Grab beim Wirten sitzen.
Das WIE ist leicht erklärt. Es liegt in unserer Natur als Mensch unserem Schmerz mit Ironie begegnen zu können. Da gehört das „als Verletzte vor dem Tiger fliehen zu können“ (und die tiefe Wunde „runterzuschlucken“ bis man in Sicherheit ist und dann vielleicht sogar erleichtert „darüber lacht“) genauso dazu, wie der schwarze Galgenhumor, den Viele zu Lebzeiten dem Thema Tod gegenüber pflegen.
Wir reagieren mit Lachen auf Leid
Mit Ironie Notsituationen durchstehen zu können, ist eine angeborene Schutzfunktion unserer Psyche. Eben nicht einzufrieren und zu warten bis uns das Raubtier erschnüffelt hat – sondern weiter zu laufen.
Genau das Gleiche ist gerade auf dem Friedhof passiert: Ein jeder wurde mit seinem eigenen Tod konfrontiert. Mit seiner Unausweichlichkeit. Schockstarre ist durch die Aufbahrungshalle gezogen wie ein eisiger Hauch und hat alles erdrückt. Man könnte auch sagen: „alle Emotionen waren bis zum Zerreißen gespannt“.
Beim Leichenschmaus federn die Emotionen aus
Wer also diese „Notsituation“ am Friedhof gemeistert hat, kann u.U. das Einkehren beim Wirten als „willkommene Abwechslung“ empfinden. Über wie viele peinliche bis gar gefährliche Situationen deines Lebens hast du im Nachhinein schon selbst gelacht und bist dir dabei vielleicht sogar ein bisschen blöd vorgekommen?
Und ich kam mir richtig blöd vor, wie ich da unter meinen nahen und entfernten Verwandten saß. Mir gegenüber mein Onkel Gerhard und der Onkel Hans. Die beiden unterhielten sich über meinen Opa und begannen einander Episoden aus seinem Leben zu erzählen.
Du kannst nicht wie sie
Man betrauert jemanden, dem sein Tod „der letzte Freund war“ (nach Siechtum und schwerem Leid aus Krankheit oder Behinderung) ganz anders als ein Unfallopfer oder jemanden, der einen unerwarteten Sekundentod gestorben ist. Und genauso sind „weiter entfernte Bekannte“ des Verstorbenen, die nicht so eng im sozialen Umfeld der näheren Angehörigen mit ihm/ihr gelebt haben (Arbeit, Sportverein,..), ganz anders in der Lage mit ihrer Trauer umzugehen. Sie können daher viel schneller auf die andere Seite des emotionalen Pendels wechseln und ihren Blick leichter auf die schönen Erinnerungen schwenken.
Und wie ich, während ich lustlos in meinem Schnitzerl herumstocherte, zuhörte, bemerkte ich, dass die Geschichten, die Onkel Hans zu erzählen vermochte, viel weiter zurückreichten als meine Mutter mir jemals von ihrem eigenen Vater erzählen konnte. Es waren Erinnerungen aus der Jugend meines Großvaters, die (von allen Anwesenden) nur Onkel Hans mit ihm erlebt hatte.
Der mißverstandene Leichenschmaus
Es ist wirklich eines der "unpassendsten" Worte rund um ein Begräbnis und daher auch die Inspiration meiner heutigen Blog-Fotos. Er ist wie das Begräbnis selbst ein Brauchtum, das, wenn man es ohne Inhalt einfach tut: „weil es sich so gehört“, ganz schnell zu einem Anstoß zur Empörung verkommt.
Genauso wie ich allen meinen Auftraggebern rate, aus dem Begräbnis etwas Liebevolles und Erinnernswertes zu machen, genauso rate ich ihnen, das Traueressen mit Bedacht zu „ihrem“ zu machen.
Vor und auch während des Begräbnisses war alles total „konform“ gewesen. Man unterhielt sich zuvor darüber, wie lange man sich schon nicht gesehen hatte, über die Krankheitsgeschichte der letzten Jahre meines Opas und über die Vorgänge seines Todes. Nicht aber darüber WER mein Opa war. Auch der Pfarrer sprach nur über Gott und Franz Hell war auf seinem eigenen Begräbnis nur erwähnt – genau wie seine als Zaungäste herumsitzende / -stehende Familie.
Dem Verstorbenen gerecht werden
„Stoßen wir auf den Herbert an!“ Mit dieser Einladung – dem Trauertrunk – beginnt oft der Versuch die Stimmung unter den Gästen wieder zu „normalisieren“. Und der Herbert dieses Beispiels war vielleicht ein leidenschaftlicher Heurigenbesucher, der seine Freunde am liebsten bei seinem Stammwirten getroffen hat. Leider aber kommt diese Aufforderung meist eher aus dem Nebenzimmer der Gastwirtschaft oder vom unteren Ende des Tisches.
Natürlich ist es für nahe Angehörige am Tag des Abschieds von einem geliebten Menschen genauso schwer an Essen, Trinken oder gar Feiern zu denken, wenn sie schon seit dem Tag des Todes (oder auch schon von der Angst davor!) von Schlafstörung, Appetitlosigkeit und Heulattacken gebeutelt werden.
Meist wissen die Anderen (also auch die der Familie nicht so nahestehenden) Gäste des Begräbnisses aber nichts von diesen in der Öffentlichkeit gut gehüteten Geheimnissen. „Wie geht es der Tochter?“, „Ich habe die Witwe noch gar nicht weinen gesehen?“, hört man von Nachbarn, Arbeitskollegen und Bekannten - Vor denen Gefühlsausbrüche oft vehement versteckt werden. „Ich will nicht, dass mich jemand weinen sieht.“
Ich begann also Onkel Hans Fragen zu stellen über meinen Opa und seine „wilde Jugend“. Und da ich meinen Großvater nur als geschickten Handwerker kannte, natürlich auch über seine Lehrzeit. Der junge Mann aber von dem mir Onkel Hans erzähle, war ein Lausbub, patschert und ein Draufgänger. Und ich bemerkte erschrocken, wie laut ich über den Tisch hinweg über eine der Anekdoten zu lachen begonnen hatte.
Unser Problem mit dem Wort Leichenschmaus
Es geht NICHT ums Essen!
Ja, manchmal geht es auch um die Kosten dafür. 30 Gäste à ~EUR 30,- einladen, geht ins Geld. copyright-fotoshooting-wien.at
Wie ich feststellen und an diesem Tag in der eigenen Seele erfahren durfte, war das Heilsamste was nach einem konformitäts-gebeutelten-Begräbnis, bei dem alle wie bloße Zaungäste schweigend gestanden und gesessen sind, passieren konnte, über Franz Hell und seine Erlebnisse mit seiner Familie zu plaudern. Mit Menschen, die so sonst nie „hier und heute zusammengekommen sind um…“.
Wir haben mit dem Erinnern so liebevoll und pietätvoll begonnen, dass Opa „wirklich da war“. Mir wurde so grandios von ihm erzählt, dass ich (wie auch einige Andere) begann, ihn mit neuen Augen zu sehen. Und ich wußte:
“Wenn wir das heute nicht hier tun…machen wir das nie!“
An diesem Tag ging ich reicher nach Hause als ich gekommen war.
Reicher an Erinnerungen
Reicher an dem Gefühl, das ich heute „OPA“ nenne.
Tipp:
Ja, du mußt dich selbst dazu entscheiden aus dem Totenmahl ein positives Erlebnis werden zu lassen. Aber das solltest du vom 30 Minuten vorangehenden Begräbnis schon kennen. Dort hattest du dir dieselbe Frage zu stellen: "Was mach ich daraus?"
Was dazugehört ist, dass du deine Gäste informierst. Was du dir von ihnen wünscht, was du dir erwartest.
Wer sagt denn, dass dieses Zusammenkommen nur am Tag des Begräbnisses stattfinden darf?
Natürlich ist es praktisch es an diesen Tag zu machen, wenn Gäste mit großen Anreisedistanzen schon mal da sind! Man muß sich bei einem Leichenschmaus auch nicht in Unkosten stürzen oder gar das ganze Haus zu putzen beginnen, um alle nachher nach Hause auf einen Kaffee einzuladen.
Aber, mit dieser Einladung vermag man dem Erinnern selbst einen Rahmen zu setzten;
an dem JEDER GAST aktiv BEITRAGEN KANN.
Dieses festliche Miteinander ehrt das Andenken des Verstorbenen (oft viel mehr), weil es um ihn/sie geht, als der kirchliche Ritus, der in der Ortskapelle abgehalten wurde. Und die Familie hat selbst dazu beigetragen. Nichts wird so schlimm empfunden, wie tatenlos daneben stehen zu müssen.
Mit dem Erzählen ändert sich deine Position – du trägst bei!
Das ist einer der Gründe warum mein Beruf als Nachrufsprecher so gut und gerne am Friedhof in Anspruch genommen wird – um bereits dort mit dem Erinnern zu beginnen.
Mach also danach im lockereren Rahmen eines Kaffees oder Gasthauses ruhig weiter.
Dort erzählen dann nämlich Freunde und Verwandte und du brauchst nur zu lauschen.
Ich werde dieses Erlebnis mein Leben lang nicht vergessen, denn es ist die einzig schöne Erinnerung, die ich an diesen Tag habe. Es war bloß ein Zufall. Mach du lieber ein bewußtest Erlebnis für dich und die deinen daraus!
Alles Gute dabei!
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