Es klingt beinahe banal,
sich einfach eine Tasse zu nehmen,
sich hinzusetzen und bei Kaffee und Kuchen
mit völlig Fremden über deren, den eigenen und jeder-Mannes /-Fraus Tod zu sprechen.
Was für dich vielleicht gerade unvorstellbar, ist eine ganz gute Approximation meiner Hausbesuche und deren Vorgespräche. Willkommen im Berufsalltag eines Nachrufsprechers! Es ist oft die Banalität der Situation, die dem wahren Schrecken vorauseilt. „Gestern war ich ihn noch besuchen. Dann hat mich das Heim angerufen und da lag er dann.“
„So lustig haben wir vorige Woche noch geblödelt.“
„Wenn ich gewußt hätte, dass das unsere letzten…“
Meinen Auftraggebern aber, ist "der schlimmste Tag" bereits wiederfahren. Sie wollen eigentlich nicht - müssen aber über den Tod sprechen.
Warum also nicht genauso banal, wie „Der Tod“ gelegentlich in unser Leben tritt, auch einfach mal über ihn zu plaudern?
Als Nachrufsprecher erlebe ich wöchentlich, wie Menschen, die „schon immer gesagt haben, sie könnten nicht..“ überrascht von sich selber sind, wie einfach es ist: „über Das jetzt zu sprechen“.
Und alle sind sich (wohlgemerkt danach!) einig: „Das hat gut getan!“.
Du könntest jetzt natürlich sagen: “Aber Thomas, für die Angehörigen ist das doch ein Muß. Die haben keine andere Wahl, die müssen sich jetzt damit auseinandersetzen in den 10- 14 Tagen bis hin zum Begräbnis“.
Und ich gebe dir völlig recht. Für die Meisten in unserer Kultur ist genau das der Moment wo sie beginnen: Wenn sie müssen. Wenn der Tod also schon alles verändert hat.
Aber es gibt auch diejenigen, die genau diesen Aspekt unserer Kultur zu verändern versuchen: das zu-spät-dran-sein.
Menschen, die uns die Chance geben wollen, nach unseren eigenen Regeln und zu unserer eigenen Zeit uns bewusst zu entscheiden: „um diesen Teil meines Lebens / Mensch-Seins kümmere ich mich jetzt einmal.“ Genau das Gegenteil; das Verdrängen, das Leugnen, das nicht-Hinschauen löst nämlich den Schreck, die Angst und die Panik aus, die Viele niemals öffentlich zugeben würden. Wenn es um den Tod eines geliebten Angehörigen oder gar um die eigene Sterblichkeit geht.
Und genau so jemanden, möchte ich dir heute vorstellen: Alexandra Kleinheinz.
Sie ist Familientherapeutin, ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin, Psychotherapeutin und seit 2016 Veranstalterin des Death Cafe Wien
B&B Alexandra, Ist das Death Cafe eine Wiener Erfindung?
Nein, gegründet wurde das Death Cafe von den Engländern Jon Underwood und Sue Barsky Reid. Sie entwickelten ein klares, verbindliches Konzept, das für alle stattfindenden Death Cafes Gültigkeit hat. Seit 2011 finden so weltweit Death Cafes statt - ob in Màlaga, Ketchikan (Alaska), Bangalore oder Linz. Menschen treffen sich, um über das Sterben und den Tod zu sprechen. Mittlerweile haben 14006 Death Cafes in 81 Ländern dieser Erde stattgefunden. Das Death Cafe Wien ist Teil dieser Gemeinschaft. Ein Blick auf die offizielle Website lohnt sich www.deathcafe.com.
B&B Ist das Death Cafe eine Art Trauergruppe?
Nein, Death Cafe ist keine Trauergruppe und keine therapeutische Einheit. Es ist nicht profitorientiert und verfolgt keine versteckten Absichten. Ziel des Death Cafe ist es: “Durch den bewussten Blick auf die Endlichkeit unseres Lebens, das Beste aus unseren Tagen zu machen” so der Gründer der Death Cafe Bewegung Jon Underwood. „Jetzt gehe ich wieder inspiriert und gestärkt in meinen Alltag zurück“ sagte neulich eine Teilnehmerin am Ende des Death Cafe bei unserer Verabschiedung.
B&B Warum veranstaltest Du Alexandra seit über sieben Jahren das Death Cafe in Wien?
Ich veranstalte das Death Cafe in Wien, da ich die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Sterben für essenziell halte – essenziell für ein gutes Leben. Das Thema ist jedoch wenig populär und größtenteils Tabu. Ein mächtiges Thema. Ein Thema, das uns aus unseren alltäglichen Rollen hebt und in dem wir uns als Mensch wiederfinden – schutzlos, ausgeliefert, bedürftig und verletzlich. Wir haben keine Sprache dafür und der Gedanke daran wird meist auf später verschoben falls nicht gerade ein Trauerfall im eigenen Umfeld stattfindet. Nichtsdestotrotz beschäftigen sich Menschen innerlich mit dem Thema. Meine persönliche Erfahrung mit dem Sprechen über das eigene Sterben, das sich Austauschen mit anderen Menschen in einem festen dafür vorgesehenen Rahmen, war zunächst ungewohnt und zugleich eine Wohltat, es war berührend, faszinierend und erschütternd, es war skurril, herzlich und nachhaltig. Das Einbeziehen meines eigenen Todes in meinen Alltag, als Begleiter, der immer zur Stelle ist und sich zugleich (zumindest vorerst) im Hintergrund hält, macht mein Leben reich, meine Erfahrungen neu und den Alltag bunter.
B&B In welchen Lebenssituationen befinden sich Deine Gäste?
Bei manchen ziehen gerade die Kinder aus, manche werden 60, manche überlegen schon lange sich mal dem Thema anzunähern, einige leiden beruflich oder privat unter der Tabuisierung, einige werden einfach von Freunden animiert mitzukommen…
B&B Gibt es eine Altersgrenze für die Teilnahme?
Ein wichtiges Prinzip von Death Cafe – es ist für Jedermann und Jederfrau. Bisher war die jüngste Teilnehmerin 18 Jahre und die Älteste 90.
B&B Fällt es leichter „mit Fremden“ über das Thema zu reden?
Was das Reden über Sterben und Tod hier "leichter" macht ist der Umstand, dass wir es mit einem Gegenüber zu tun haben, dass definitiv am Thema interessiert ist. Jeder hört gespannt dem anderen zu, weil es für ihn/sie unglaublich interessant ist, wie andere Menschen das Thema angehen bzw. nicht angehen.
B&B Kann „darüber reden“ die Angst vor dem sterben nehmen?
Das „darüber reden“ wird von allen Besuchern immer wieder als sehr wohltuend empfunden. Das Gegenmittel zur Angst ist ja bekanntlich der Mut. Wenn aber Menschen das erste Mal ins Death Cafe kommen, erzählen manche, dass es sie Mut gekostet hat, diesen ersten Schritt zu tun. Aber auch, dass sie es keinesfalls bereuen.
Indem wir das Thema in unsere Mitte holen, machen wir einen Raum auf. In diesem Raum schauen wir gemeinsam „auf eine bedrohliche Tatsache“. Indem wir aber in Gemeinschaft uns dem Sterben und dem Tod widmen, nehmen wir der Sache den Schrecken. Die Gewissheit, dass es uns alle angeht und dass wir nicht allein mit dem Thema ringen müssen, macht Mut und da wären wir schon wieder beim Gegenmittel für die Angst.
B&B Kann das Death Cafe wirklich „helfen“?
Das Death Cafe wird weder gegen den Tod noch gegen das Sterben helfen. Das Death Cafe holt den Tod und das Sterben ins Leben und das wird von allen Teilnehmern immer wieder als „sehr hilfreich“ beschrieben.
„Wahnsinn wie normal hier über den Tod und das Sterben geredet wird, das ist ja fantastisch und gar nicht komisch“ – so beschrieb ein Teilnehmer die Eindrücke am Ende seines ersten Death Cafes. Und es gibt auch „Stammgäste“ die immer wieder gerne kommen.
B&B Wie bewußt sehen wir als Gesellschaft „den eigenen Tod“ aus Deiner Erfahrung?
Ich sehe, dass wir uns als Gesellschaft sehr weit von der Tatsache unserer Endlichkeit distanzieren. Alter, Krankheit und Tod scheinen in den Bereich des „Lösbaren“ und nicht unbedingt zum-Leben-gehörenden gerückt zu sein. Wir können mittlerweile so viele Dinge optimieren, manipulieren und beherrschen. Das Alter und die Krankheiten sind fast schon ein Versagen des Einzelnen. Ich beobachte unsere Gesellschaft in einer Bewegung, die darauf abzielt, den Tod abzuschaffen, das Leben endlos zu Verlängern und die eigene Endlichkeit zu leugnen und zu tabuisieren. Eine sehr ungesunde Entwicklung, die uns in eine radikale Umkehr treiben könnte –
Jean Ziegler schreibt in seinem Buch Die Lebenden und die Toten:
„Der Kampf für die Reintegration des Todes in das westliche Kollektivbewusstsein könnte der Ausgangspunkt werden für die bedeutsamste Revolution unseres Jahrhunderts.“
B&B Was hast Du selbst über „das Leben“ und über „den Tod“ im Death Cafe gelernt?
Ich habe gelernt, dass dieses Thema uns als Menschen sehr stark verbindet. Jenseits unserer Rollen als Mutter, Arzt, Psychotherapeutin, Lehrerin, Patientin, Schülerin… treffen hier Menschen als sterbliche Wesen aufeinander. Es gibt so viel Freundlichkeit, Interesse und Respekt untereinander, dass ich immer wieder staune. Außerdem trage ich jetzt öfter meine „schönen Gewänder“ anstatt sie im Kasten zu schonen. Das habe ich von einer 18jährigen Teilnehmerin gelernt – „wenn jeder Tag der Letzte sein kann ist es doch schade, wenn die guten Stücke im Kasten verstauben“.
Mein heutiger
Tipp:
Wenn Du dir heute beim Lesen gedacht hast: “was es nicht schon so alles gibt…“ so zeigt das nur, dass unsere Gesellschaft schon längst nach neuen Angeboten sucht mit ihrer Trauer „umzugehen“. Es sind immer mehr „Privatpersonen“, die nach wirklich hilfreichen Alternativen suchen, die einfach mehr Tiefgang bieten. Wenn Du also vom generalisierten PRODUKT-Angebot institutioneller Anbieter nicht mehr angesprochen wirst, bist du bereits auf einem guten Weg Dich zu einem emanzipierten Kunden im Thema Bestattung zu machen.
Nur weiter so.
Du wirst Dir und den Deinen damit nur gut tun.
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